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Der Kunde:

Emerson ist ein globales Technologie- und Engineering-Unternehmen, das seinen Kunden innovative Lösungen für industrielle, kommerzielle und private Anwendungsgebiete bietet. Mit einer Mitarbeiteranzahl von ca. 88.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 18,4 Milliarden US-Dollar gehört Emerson zu den größten Anbietern von Messtechnik und industriellen Komponenten für zahlreiche Branchen. Als Teil von Emerson Automation Solutions zählt AVENTICS zu den führenden Marken für Pneumatikkomponenten und -systeme. Die Pneumatikspezialisten bieten Produkte und Dienstleistungen für die Industrieautomation und die Branchen Food & Beverage, Life Sciences und Energy.

Die Ausgangssituation:

In pneumatischen Systemen können Luft-Leckagen an den ausführenden und verbindenden Komponenten entstehen, die zu hohen Energieverlusten führen. Die Folge sind ungeplante Stillstände, die mit hohen Kosten verbunden sind. Ad-hoc-Leckagen können direkt vom Fachpersonal erkannt werden schleichende Leckagen hingegen werden entweder spät oder nicht erkannt. Die herkömmliche Überprüfung erfordert kostenintensive Messinstrumente und entsprechend geschulte Spezialisten, so dass diese meistens (zu) selten oder gar nicht durchgeführt wird. Nicht nur durch die frühzeitige Erkennung, sondern auch die möglichst genaue Verortung solcher Leckagen können also Wartungskosten verringert und ungeplante Ausfallzeiten reduziert werden.

Zu Beginn der Zusammenarbeit hatte ein interdisziplinäres Team von Emerson bereits mit Simulationen und statistische Analysen anhand von Labor Konfigurationen verprobt und dem AIM-Team die Aufgabe gestellt, zunächst im Rahmen einer Datenanalyse und eines Proof of Concept eine mögliche Lösung durch Machine Learning nachzuweisen.

Herausforderungen/ Aufgabenstellung:

Die Konfigurationen der Kundenanlagen sind sehr individuell und bestehen aus wenigen bis mehreren hundert Komponenten. Die physikalischen Eigenschaften (z.B. Viskosität der Luft) und Rahmenbedingungen (z.B. Betriebstemperatur) erlauben keine einfachen linearen Modelle des Gesamtsystems.

Häufig stehen in Kundensystemen nur wenige Daten zur Verfügung, da diese bereits älter sind oder Kosten der Sensorik im Verhältnis zu anderen Bauteilen hoch sind. Damit stehen dann lediglich die zentrale Durchflussmenge und die Steuerungsdaten der Anlage zur Verfügung. Damit eine Lösung praxistauglich ist, können zudem keine Trainingsdaten für die eigentlichen Leckagen bereitgestellt werden – sondern nur das aktuelle Referenzverhalten einer Anlage.

Daraus ergeben sich folgende Kernherausforderungen aus Sicht eines für den Praxiseinsatz geeigneten Verfahrens:

  1. Wenige Signale: bedingt durch fehlende Sensorik
  2. Heterogenität: individuelle Konfigurationen und Bedingungen der Kundenanlagen
  3. Komplexität: wenige bis mehrere hundert Komponenten
  4. Eingeschränkte Trainingsdaten: nur Referenzverhalten
  5. Nichtlineares Verhalten: physikalische Eigenschaften (z.B. Viskosität der Luft)
  6. Verortung: Verschleiß muss den Komponenten zugeordnet werden

Insbesondere der letzte Punkt ist anspruchsvoll, da sich die Informationen bezüglich der betroffene(n) Komponente(n) in der Dynamik der Signale „verstecken“.

Schema eines pneumatischen Systems

Abbildung: Schema eines pneumatischen Systems

Projektverlauf und Lösung:

Innerhalb eines ersten Workshops wurden uns die bisherigen Ergebnisse und Herausforderungen des Emerson-Teams vorgestellt. Aus unseren bisherigen Erfahrungen konnten wir früh erste Lösungsideen eingrenzen. Blind Source Separation, um die einzelnen Durchflüsse (Quellsignale) aus dem gemischten Gesamtdurchfluss zu separieren, kam zum Beispiel aufgrund der minimalen Informationslage nicht in Frage. Der zweite erfolgreiche  Ansatz war, anstelle von konkreten Verschleißorten das Referenzverhalten des Systems zu erlernen. Wenn nun geringfüge Abweichungen vom erwarteten Verhalten auftreten, werden diese frühzeitig vom System erkannt und der verursachenden Komponente zugeordnet. 

Wichtig ist aus unserer Erfahrung für Predictive Maintenance-Lösungen, den technischen Prozess zu verstehen und das entsprechende Domänen-Wissen zu nutzen. Anhand des Laboraufbaus erarbeiteten das Emerson- und das AIM-Team diese Expertise gemeinsam. Dieser besteht aus einer zentralen Druckluftzufuhr, einem zentralen Durchflusssensor und sechs Zylindern mit unterschiedlichen Schaltfrequenzen. Zur Verfügung hatten wir Datensätze im Referenzverhalten  ohne Leckage  und in manuell erzeugten Leckage-Situationen.

Aufbau Laborversuch

Abbildung: Aufbau Laborversuch

Der Startschuss war erfolgt. In kurzen agilen Sprints gingen wir Schritt für Schritt in enger Abstimmung mit dem Emerson-Team voran. Gerade dieses enge Zusammenspiel aus technologischem und fachlichem Know-How ist entscheidend, um effektiv über Zwischenergebnisse zu beraten und das weitere Vorgehen abzustimmen.

Zu unseren Erfolgsrezepten gehört der Start jeder Lösungsentwicklung mit einem Data Quick Check – hierbei werden z.B. die Periodizitäten der Steuerung, Latenzen und Synchronität der Steuersignale sowie generelle Auffälligkeiten in den Messreihen, wie Aussetzer oder Ausreißer, analysiert und visualisiert. Bereits bei den ersten Analyse-Ergebnissen sind spannende Erkenntnisse und Diskussionen über den technischen Prozess und Signalübermittlung entstanden, z.B. über Informationsverluste aufgrund geringer Phasenverschiebungen, der Periodenverhältnisse der Schaltfrequenzen und identifizierter Schwankungen und Verschiebungen der Zeitstempel.

Abbildung: Verteilung der Differenzen der Zeitstempel

Mit diesem Wissen ging es weiter in die Entwicklung des Verfahrens, welches erfolgversprechend erschien: Nur auf Basis der Steuersignale wird ein Prognosemodell für den zentralen Gesamtdurchfluss des Systems trainiert. Der entscheidende Trick ist dabei, nicht nur die binären Steuerungsdaten zu verwenden, sondern durch die Generierung zusätzlicher Informationen dem Modell die Systemdynamik einfacher zugänglich zu machen. Das relativ einfache Modell erreicht eine Prognosegenauigkeit von über 90%. Wobei diese tatsächlich nicht der entscheidende Faktor ist, sondern nur dazu dient, einen statistisch signifikanten Prognosefehler zu ermitteln, wenn schleichende Leckagen das Systemverhalten verändern.

Vorhersage des Luftdurchflusses smart machines

Abbildung: Vorhersage des Luftdurchflusses: Prognosefehler < 10%

Um letztendlich die Leckage zu verorten, erfolgen weitere Analyseschritte und ein Signifikanztest. Dies erfolgt rollierend über konfigurierbare Zeitfenster, so dass eine Folge von Testergebnissen entsteht im folgenden Beispiel ist die Zuordnung der Leckage klar zu erkennen (durchgehende rote Markierung).

Abbildung: Statistische Signifikanz der zugeordneten Abweichungen über die Zeit

Natürlich ist auch die Datenmenge bzw. -sparsamkeit ein wesentlicher Aspekt: Bereits auf Basis einer kurzen Trainingszeit (Kalibrierung) und binnen weniger Minuten der Prognose (Monitoring) werden Abweichungen erkannt und lokalisiert. Um dies zu erreichen, analysieren wir die Wirkung einerseits verschiedener Kalibrierungszeiträume auf die Leistung und andererseits wachsender Abstand zum Monitoring auf die Stabilität:

Abbildung: Analyse der Kalibrierungszeiträume

Diese Lösung ist ein gutes Beispiel dafür, dass eher nicht die „Brute Force“ Anwendung von KI, welche häufig im Zuge des Hypes z.B. um Deep Learning propagiert wird, zum Erfolg führt, sondern die Kombination von Domänen-Wissen, klassischen Methoden und einfachen Machine Learning-Modellen wesentlich zielführender sein kann.

Tipps vom Profi im Predictive Maintenance Web-Seminar

Product Owner und Experte Nils Funke erklärt Ihnen in unserem kostenlosen Web-Seminar, wie Sie durch Predictive Maintenance die Wartung Ihrer Maschinen verbessern können und stellt Ihnen in vollem Umfang den Emerson Use Case vor.

Bisherige Ergebnisse und Ausblick:

Bereits im Proof of Concept und im anschließenden MVP (Minimum Viable Product) ist eine integrierte Gesamtlösung entstanden: Das pneumatische System kommuniziert per MQTT (oder über eine Datenbank) mit dem KI-basierten Verfahren und wird im Modus „Calibrate“ vollautomatisch angelernt. Der Modus „Monitor“ überwacht das System und sendet kontinuierlich einen Leckage Status zu allen Komponenten.

Auf dieser Basis kann die Integration in SPS oder Monitoring Lösungen einfach vorgenommen werden.

Abbildung: Integrierte Gesamtlösung

In weiteren Schritten wird nun der Komplexitätsgrad kontinuierlich erweitert, um z.B. unterschiedliche Ablaufprogramme, Komponenten und Verbindungen zu verproben – und das Verfahren kontinuierlich zu verbessern und zu erweitern.

Ziel ist es, künftig möglichst viele Kundensituationen abzudecken und in 2021 das Verfahren bei ersten Pilotkunden zum Einsatz zu bringen.

 

Erkenntnisse und Erfolgsbausteine in Kürze:

  1. Komplexität der Anlage anfangs geringhalten und sukzessive erweitern
  2. Agiles und iteratives Vorgehen: Data Quick Check, Proof of Concept und Minimum Viable Product
  3. Domänen-Wissen, bewährte Methoden und innovative KI-Ansätze kombinieren
  4. Solide Software Engineering/DevOps-Grundlagen für den produktiven Betrieb sicherstellen

Haben Sie Interesse oder Fragen zu der Case Study? Dann freuen wir uns über einen persönlichen Austausch!

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