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Das Jahr 2018 war für uns von vielen Innovationsprojekten und regem Austausch rund um Künstliche Intelligenz (KI), insbesondere im Teilgebiet Machine Learning (ML) geprägt. Hieraus ist unsere aktuelle Einschätzung der wichtigsten Trends und Einflussfaktoren entstanden, welche sich in 2019 fortsetzen und verstärken werden.

Arvin Arora

Geschäftsführer - Data Scientist - Product Owner, Agile IT Management GmbH

Künstliche Intelligenz in 2019: Trends und Einflussfaktoren im Überblick

  1. KI Forschung & Innovation…
  2. …versa Praxistauglichkeit
  3. Budgets im Aufwind
  4. KI/ML Spezialisten
  5. Daten sind das neue Öl
  6. Industrialisierung – Machine Learning DevOps
  7. Architekturen, Open Source und Ökosystem
  8. KI/ML Infrastruktur
  9. Ergonomie, Transparenz, Erklärbarkeit

Unsere Gedanken hierzu möchten wir gerne in einer dreiteiligen Serie vermitteln und freuen uns über einen persönlichen Austausch hierzu. Als Erstes aber der traditionelle Blick auf KI/ML im Hype Cycle:

Erwartungen und Realität: jenseits des Hype Cycles.

KI/ML Technologien führen ein etwas wankelmütiges Leben auf dem Gartner Hype Cyle – nach einigem vor und zurück seit 2015 hat „Machine Learning“ sich nun in 2018 verabschiedet und hat sein Teilgebiet „Deep Learning“ allein auf der Bühne gelassen (vgl.: Deep Learning’s ‘Permanent Peak’ On Gartner’s Hype Cycle, James Kotecki, 08/2018). 

Dieses und ähnliche Modelle können nur als Denkhilfe und als grobe Widerspiegelung der allgemeinen Einschätzung der Entwicklung so komplexer Technologie-Markt-Systeme gesehen werden. Hier mag auch eine Rolle spielen, dass KI sehr breite Einsatzmöglichkeiten in vielen Lebens- und Arbeitsbereichen hat – es ist ein wenig als hätte man die Bedeutung von Elektrizität seinerzeit in einer einfachen Kurve einfangen wollen.

Zweifelsfrei ist: Wir befinden uns mitten in einem (Mega) Hype um Künstliche Intelligenz und insbesondere Machine/Deep Learning. Zweifelsfrei ist aber auch: mehr als dies vielen vielleicht präsent ist, durchdringen diese Technologien bereits massiv und beschleunigend unseren Alltag – allerdings als spezielle Lösungen und in vielen kleinen Schritten. Eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Technologie ist also dringend angebracht.

Faktor 1: KI Forschung & Innovation

(Angesichts der Größe und Dynamik des Feldes erheben wir hier natürlich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sondern möchten nur Anregungen geben.) KI/ML Modelle haben in den letzten Jahren in einigen, speziellen kognitiven Fähigkeiten menschliches Niveau erreicht (und teilweise überschritten) – in der Machine Vision: der Auswertung von (bewegten) Bildern, im Natural Language Processing: der Übertragung von Sprache in Text, Text in Sprache und der (simultanen) Übersetzung sowie im Bereich Predictive / Prescriptive Analytics: der Vorhersage zeitlicher Muster bzw. komplexen Systemverhaltens.

Künstliche Intelligenz – Entwicklung 2019

Generative Modelle, d.h. Bild- und Audiosignale erzeugende Modelle – z.B. Generative Adversarial Networks (GAN) haben interessante, neue Anwendungsfelder eröffnet. Diese gehören neben z.B. Capsule Nets, Differentiable Neural Computers und Deep Echo State Networks (ESN) zu den jüngeren Modell-Architekturen. Die grundlegenden Paradigmen werden zudem neu kombiniert und auf andere Bereiche übertragen – z.B. Convolutional Neural Networks (CNN) + Long-Short-Term-Memory (LSTM) für Image CaptioningDeep Reinforcement Learning (DRIF) oder die Anwendung von CNN auf Zeitserien. Unter den Stichworten „Attention“ und „Memory“ zieht sich die gezieltere und effizientere Nutzung vorliegender Informationen durch verschiedene Modellklassen.

Andere praxisrelevante Forschungsthemen führe ich im Folgenden jeweils im Kontext der weiteren Faktoren auf.

Ein großer Teil der Forschung beschäftigt sich aus unserer Sicht inzwischen eher mit der Übertragung der grundlegenden Entdeckungen aus der KI Geschichte auf neue Anwendungsbereiche sowie der sukzessiven Verbesserung von Modell Designs und Trainingsmethoden.

Der weiterhin wachsende Strom an Forschungsergebnissen erzeugt jedenfalls ein riesiges Füllhorn an inkrementellen KI/ML Innovationen, die spannende Anwendungsmöglichkeiten versprechen. Dies erschwert aber auch die Auswahl passender und – das ist durchaus ein Problem – methodisch sauber erschlossener und reproduzierbarer Ansätze.  

Faktor 2: …versa Praxistauglichkeit

Bei der Übertragung auf reale Anwendungen muss allerdings ein nüchternes Augenmaß gewahrt werden. Am Beispiel: seit Deep Mind Ende 2013 DRIF (bzw. hier: CNN + RIF) Modellen das Gewinnen von Atari Spielen nur basierend auf rohen Bildsequenzen, Aktionsmöglichkeiten und finalem Punktestand beibrachte, ist diese Grundidee kontinuierlich verbessert (Rainbow, 10/2017) und früher als erwartet mit Erfolg auf weitere menschliche Hoheitsgebiete ausgedehnt worden (AlphaGo, AlphaGo Zero, Alpha Zero).

Was nun in Simulationen deutlich leichter als in realen industriellen Szenarien zu handhaben ist:

  1.  Auch die optimierten DRIF Versionen benötigen immer noch sehr, sehr (!) viele Trainingsbeispiele.
  2. Teilweise verschlechtern leicht abweichende Bedingungen die Leistungen der trainierten Modelle.
  3. „Belohnungen“ für richtiges Verhalten müssen mit Bedacht formuliert werden.

Im Detail erläutert dies zum Beispiel der Blog Beitrag Deep Reinforcement Learning Doesn’t Work Yet von Alex Irpan. Robotik Unternehmen wie Boston Dynamics nutzen z.B. bisher offenbar eher noch klassische Controlling Ansätze (1, 2).

Über dieses spezielle Beispiel hinaus erwarten wir, dass in vielen Bereichen (getreu Occam’s razor) klassische und weniger komplexe Ansätze sich halten und sogar wieder mehr im Fokus stehen werden (siehe z.B. 12). Auch die Kombination klassischer Optimierungsverfahren mit lernfähigen Modellen scheint vielversprechend.

Praktische Herausforderungen und Bedingungen müssen – auch durch intensive Zusammenarbeit mit Anwendern – stärker in der Forschung berücksichtigt werden (siehe im Folgenden: Daten Effizienz, Erklärbare KI).

Faktor 3: Budgets im Aufwind

Aus den wesentlichen Quellen – Staaten, Wagnis Finanzierer, Unternehmen – ergießen sich derzeit anschwellende Geldströme in KI/ML Forschung und Projekte. Allerdings findet ein großer Teil dieser Forschung bisher im (anglo)amerikanischen Raum, in China und in den digitalen Konzernen (Google, Amazon, Facebook u.a.) statt. Letztere haben zudem gigantische Datenmengen zur Verfügung und aufgrund ihrer Geschäftsmodelle große Mehrwerte durch Mustererkennung. Diese Entwicklung wird sich auf Sicht durch wachsende Budgets weiter beschleunigen. Einige Indizien:

Dabei geht es aber – zumindest in den europäischen und deutschen Initiativen – nicht nur um technologischen Fortschritt, sondern auch um ethische, juristische, ökonomische und soziale Aspekte.

Wenn Deutschland und Europa allerdings aufholen, nicht nur Konsumenten amerikanischer und asiatischer KI/ML Lösungen und Services sein wollen, dann müssen Gründer, Unternehmen, Forschung und Lehre, Politik und Kapitalgeber deutlich konsequentere Maßnahmen ergreifen. Es geht dabei auch in klassischen Industrie- und Servicebereichen darum, nicht mittelfristig gegen KI-gestützte, deutliche produktivere Wettbewerber zu verlieren:

Kai-fu Lee: No hope for Europe’s artificial intelligence sector (oder ausführlicher: https://aisuperpowers.com/)

Europa ist abgemeldet. 

Wesentliche Notwendigkeiten sind in diesem Zusammenhang meiner Meinung nach in aller Kürze: realitäts- und anwendungsnahe Förderprogramme, wesentlich mehr Risikokapital, wesentlich mehr Transfer zwischen Forschung/Lehre und Industrie, die bessere Verfügbarmachung von Daten und kontrollierte, aber mutigere und innovativere Experimente und Pilotprojekte in Unternehmen. Und nicht zuletzt Gründer, die praxisrelevante KI Anwendungen mit innovativem Mehrwert realisieren.

In Teil II geht es um:

  • Faktor 4: KI / ML Spezialisten
  • Faktor 5: Daten sind das neue Öl
  • Faktor 6: Industrialisierung – Machine Learning DevOps
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